Der Autor Thomas Gsella beschreibt sehr deutlich, wie seine Schwester und deren Tochter bei einem schweren Auffahrunfall auf der Autobahn ums Leben gekommen sind. In den Kommentaren zu diesem Text wird oft darauf hingewiesen, dass autonome Autos und/oder ein Tempolimit solche Unfälle verhindern würden. Aber stimmt das?
Bei 200 km/h legt ein Auto 55,5 Meter pro Sekunde zurück. Zum Vergleich: Die Leitpfosten auf der Autobahn stehen in einem Abstand von 50 Meter. Um von 200 km/h auf 0 km/h abzubremsen, benötigt ein Sportwagen wie der Porsche 911 rund 130 Meter. Autos mit einer schwächeren Bremsanlage benötigen mindestens 30 bis 40 Meter mehr. Immer davon ausgehend, dass der Fahrer die Bremse auch wirklich sofort voll belastet, was selten passiert. Tatsächlich bremsen die meisten Fahrer auch bei hohen Geschwindigkeiten zu zögerlich. Der Bremsdruck wird nur sukzessive erhöht, statt sofort mit voller Kraft auf das Pedal zu steigen.
Schert plötzlich ein Fahrzeug auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h aus während von hinten jemand mit 200 km/h unterwegs ist, bleibt also nicht viel Zeit. Man muss circa 1 bis 1.5 Sekunden rechnen, bis der von hinten auffahrende Fahrer realisiert hat, was da gerade passiert und dann dementsprechend reagiert. In der Zeit verringert sich der Abstand erheblich. Zieht das langsame Fahrzeug 100 Meter vor dem schnelleren raus, ist es eigentlich schon zu spät. Nur ein sehr geübter Fahrer kann dann noch eine Kollision verhindern.
Aber wie ist das bei den teilautonomen Fahrzeugen, die heute auf dem Markt sind? Die automatischen Abstandssysteme der meisten auf den Markt befindlichen Fahrzeuge steigen bei Geschwindigkeiten zwischen 140 und 160 km/h aus. Einige Abstandshalter arbeiten bis 200 km/h, danach ist Schluss. Schuld daran ist die Sensorenreichweite. Die liegt zwar bei maximal 500 Meter (Kamera), die Ultraschall und Lasersensoren reichen aber maximal 200 Meter weit.
Die Reaktionsgeschwindigkeit der von mir getesteten Systeme war bei niedrigen Geschwindigkeiten sehr hoch. Es ist vorstellbar, dass die heutigen Systeme die Schwere eines solchen Auffahrunfall zumindest vermindert hätten, da sie in der Lage sind, schneller und mehr Energie zu vernichten, als das der Fahrer kann.
Die andere Frage ist: Wenn das ausscherende Fahrzeug autonom unterwegs gewesen wäre, hätte es den Unfall verhindern können? Systeme, die den rückwärtigen Verkehr beobachten sind fast normal geworden. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen der Beobachtung des toten Winkels und dem Raum dahinter. Um ein schnell fahrendes Fahrzeug zu erkennen, muss das System dessen Geschwindigkeit messen können. Auf einer leeren Autobahn ist das kein Problem. Auf einer vollen Autobahn sieht das anders aus, weil sich immer wieder andere Fahrzeuge ins Bild schieben. Theoretisch sollte ein autonomes Fahrzeug nur dann ausscheren, wenn es sich wirklich sicher ist, dass nichts passieren kann. Aber eine Unsicherheit bleibt dennoch.
Das einzige, was derartige Unfälle wirklich verhindern kann, ist die Car2Car-Kommunikation. Dabei liefern sich die Autos untereinander die Informationen. Zum Beispiel auch „Achtung, ich bin mit 200 km/h unterwegs“. Sie übermitteln Geschwindigkeit, Ort und andere wichtige Informationen. In diesem Fall weiß jeder, wann es sicher wäre auszuscheren, bzw. wann man eine Vollbremsung einleiten muss.
Die Technologie dafür ist im übrigen schon längst da. Mercedes setzt sie seit 2015 ein, Audi seit 2016. Was fehlt, ist ein gemeinsamer Standard, auf den sich die Hersteller weltweit nicht einigen können. Seit 2012 (!) arbeitet man daran – ohne Ergebnis. Ohne eine Einigung wird es allerdings auch keine vollautonomen Fahrzeuge geben. Die wären dann allerdings dazu in der Lage, derartige Unfälle zu vermeiden.
Fazit:
Ja, derartige Unfälle können mit der heutigen Technologie zumindest in ihrer Schwere vermindert werden. Mit etwas Glück werden sie auch ganz vermieden. Nein, ein Tempolimit ändert nichts, es obliegt dem Fahrer, dieses einzuhalten. Ich wurde in Spanien auch schon von Auto überholt, die 180 km/h und mehr fuhren. Mit der Kombination Car2Car-Kommunikation und mindestens Level 4 Automation sollten solche Unfälle komplett der Vergangenheit angehören. Bis die Mehrheit aller Fahrzeuge damit ausgerüstet sind, dürften allerdings noch gut zehn bis 15 Jahre vergehen.
Noch generell ein Wort dazu: Man sollte derartig hohe Geschwindigkeiten nur auf leeren Autobahnen fahren. Der Abstand zum Vordermann sollte mindestens der Zahl auf dem Tacho entsprechen, eher noch mal 100 Meter Sicherheit oben drauf. Und überhaupt sollte man sich fragen, ob die Geschwindigkeit das Risiko das eigene oder das Leben von anderen zu gefährden, aufwiegt. Wenn wirklich mal schnell fahren will: alle permanenten Rennstrecken in Deutschland bieten „Track Days“ an. Dann kann jeder sein Auto so schnell fahren, wie er will.
Bild: Daimler AG
7 Antworten zu „Schützen autonome Autos vor Auffahrunfällen?“
Verfluchtes Autoausfüllen. Könntest Du den ersten Kommentar bitte löschen? Ich wollte eigentlich schreiben:
Vielen Dank für die ausführliche Analyse. In einem Punkt möchte ich spontan widersprechen: natürlich hilft ein Tempolimit nicht bei Idioten. IMHO würde es trotzdem die Menge an gefährlichen Situationen reduzieren die zwangsläufig entstehen, wenn Fahrzeuge mit 80 km/h und einem vielfachen davon auf gemeinsamen Strecken unterwegs sind.
Ich habe leider keine Zahlen aus dem Ausland, wie das mit Auffahrunfällen auf der Autobahn aussieht, aber generell gebe ich Dir Recht. Gefühlt sollten so schwere Unfälle geringer werden, wenn man ein Tempolimit hat.
Du schreibst: „Tatsächlich bremsen die meisten Fahrer auch bei hohen Geschwindigkeiten zu zögerlich. Der Bremsdruck wird nur sukzessive erhöht, statt sofort mit voller Kraft auf das Pedal zu steigen“
Seit 2009, also seit acht Jahren, müssen in der EU alle neu homologierten Pkw und Transporter mit einem Bremsassistenten ausgestattet sein, seit 2011 alle neu zugelassenen Kfz. Damit dürfte sich das zögerliche Bremsen in Gefahrsituationen bei den meisten Autos erledigt haben. Mein kleiner Citroen von 2005 hat schon so ein Ding, und der langt erbarmungslos rein, wenn man zu sehr zuckt.
Korrekt, das ist aber was anderes, als die neuen adaptiven Assistenten, die auch nur mit dem ganzen anderen elektrischen Schutzausstattungen funktionieren.
[…] Auto-Experte Don Dahlmann macht sich Gedanken: Schützen autonome Autos vor Auffahrunfällen? […]
[…] ging es um Verkehrstote und Tempolimit. Don Dahlmann hat eine sachliche Ergänzung und fragt sich, ob und wie autonome Autos vor Auffahrunfällen schützen. Der Ursprungsartikel ist dort natürlich auch […]
[…] Es gab letzte Woche einen tollen Text von Thomas Gsella zum Tod seiner Schwester und ihrer Tochter, der u.a. ein Tempolimit auf Autobahnen fordert. Das macht er übrigens schon etwas länger. Hier gibt es auch sein Rasergedicht aus der Anstalt vom 7.3.2017 (Empfehlung!). Don Dahlman hat da auch etwas interessantes zu zu sagen in Bezug auf autonome Autos: http://www.dondahlmann.de/?p=25046 […]