Da ist man einmal ein paar Stunden offline, und schon dreht die Bahn AG komplett hohl. Gestern hat man, wie vermutlich allgemein bekannt, das Blog netzpolitk.org abgemahnt. Grund: im Blog war ein internes Memo aus dem letztem Jahr bzgl. der Überprüfung der Mitarbeiter veröffentlicht in dem Umfang und Art der Überwachung deutlich wurden. Dabei handelt es sich um ein Dokument, dass offenbar schon im Umlauf war und die Grundlage für die Recherche mancher Artikel der letzten Tage geliefert hat.
Ich kenne die rechtlichen Hintergründe einer Abmahnung in diesem Fall nicht, aber offenbar handelt es sich ja wohl eher um ein Problem der Geheimhaltung, als mehr darum, dass es veröffentlicht wurde. Was die internen Probleme angeht, so kennt die Bahn ja die Mittel, die man anwenden muss, wenn man undichte Stellen ausfindig machen möchte. Dafür muss man ja nur das Memo lesen. Was die Veröffentlichung angeht – das sollen Rechtsanwälte klären. Ich denke aber mal, dass das Cicero Urteil eine deutliche Sprache spricht.
Mal abgesehen davon, dass der mehr als angeschlagene Ruf des Konzern gerade komplett den Bach runter geht, weil die Abmahnung deutlich zeigt, dass es der Bahn eben nicht darum geht, dass die Überwachungspraktiken des Konzerns vollumfänglich aufgeklärt werden, finde ich die Reaktion des Netzes interessant. Dieser Screenshot sagt zumindest im Moment alles. Und sind noch nicht mal alle Nachzügler mit dabei. Das die Bahn die PR-Schlacht nur verlieren kann, hat Robin Mayer-Lucht eindrucksvoll zusammen gefasst.
Was mich aber an der Sache vor allem interessiert, ist die Frage, wie lange das Thema im Netz rum gehen wird. In der Sache DFB vs. Jens Weinreich hat sich schon gezeigt, dass eine gut vernetzte Reaktion über Wochen und Monate aufrecht erhalten werden kann und auch eine gerichtliche Auseinandersetzung überlebt. Das ist in diesem Fall mehr als wünschenswert. Die Chancen, dass die Sache bei der nächsten Sau, die durchs Blogdorf getrieben wird innerhalb kürzester Zeit wieder in der Versenkung verschwindet, ist in diesem Fall aber relativ gering. Dafür gibt es folgende Gründe:
1. Die Abmahnung hat ein extrem gut und weit vernetztes Blog getroffen. In fast allen Blogcharts ist netzpolitik.org in den Top 10 zu finden, Markus Beckedahl ist einer der Organisatoren der re:publica, gehört zu den meist gelesenen deutschen Twitter-Usern und ist selber auch in der „Offline-Welt“ sehr gut vernetzt. Die Unterstützung dürfte also nicht nur groß, sondern auch lang anhaltend sein.
2. Die Bahn ist ein billiges Opfer im Netz. Kaum ein Blog, dass nicht mindestens einen „Die Bahn geht mir auf die Nerven“ Eintrag hätte, kaum einer, dem nicht das Gebahren der Konzernspitze zuweilen gegen den Strich geht. Dazu kommt, dass es ja schon eine Art Volkssport ist, sich über die Bahn aufzuregen.
3. Die klassischen Medien werden die Sache dankbar aufgreifen. Bisher hatte man mit einer relativ diffusen Masse von überwachten Bahnangestellten und der Salamitaktik in Sachen Aufklärung zu tun. Noch heute wurde Bahnchef Mehdorn mit der Aussage zitiert, dass man keine Salamitaktik betreiben würde, sondern die Informationen wegen der schwierigen Ermittlungen eben nur schrittweise kommen würden. Und dann taucht dann ein Dokument auf, das zumindest eine klare Aussage zu geben scheint und die Bahn will die Veröffentlichung verbieten. Damit wird die „Aufklärungspolitik“ an einem einzigen Beispiel deutlich gemacht, was deutlich leichter zu greifen ist, als die anonyme Masse der Bahnangestellten. War das Dokument bis gestern Mittag nur wenigen Redaktionen bekannt, so dürfte sich das nun komplett geändert haben.
Ich bin mal gespannt, wie weitreichend die Konsequenzen aus diesen fulminanten PR-Rohrkrepierer für die Bahn und die Konzernspitze sein werden. Die Bahn hat sich selbst eine Falle gestellt, aus der sie nicht mehr rauskommt. Zieht man die Abmahnung zurück, steht man schlecht da, weil man es überhaupt versucht hat, besteht man auf der Abmahnung, wird der Verdacht, dass man etwas vertuschen will, nur noch lauter werden. Ich lehne mich vielleicht weit aus dem Fenster, aber ich bin sehr gespannt, ob Bahnchef Mehdorn diese PR-Katastrophe überleben kann. Sie könnte der kleine Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.
3 Antworten zu „Bahn AG vs. das Netz“
Wenn ich mir die ersten Reaktionen so ansehe, habe ich das Gefühl, Marcus Beckedahl muss sich gar nicht groß sorgen. Der Tsunami ist schon unterwegs. Die Bahn bräuchte jetzt Krisenmanager vom Schlage Hill & Knowlton, um da noch was zu retten. Andererseits, und das ist ja das Perverse, diese Auseinandersetzung kostet den Betroffenen Zeit, Nerven und viel Geld, das lässt sich nicht in positiven Schlagzeilen aufwiegen, finde ich. Grundsätzlich bin ich fasziniert, was wir da gerade erleben. Giganten knicken ein/müssen einknicken, obgleich sie doch ihre PR- und Propagandamaschinen mit vielen Millionen ölen.
Bitte über den Text nochmal drüberlesen. Unter anderem hier:
„Die Chancen, dass die Sache nicht [bei der nächsten Sau, die durchs Blogdorf getrieben wird] innerhalb kürzester Zeit wieder in der Versenkung verschwindet, ist in diesem Fall aber relativ gering.“
(Danke.)
Text nicht korrigieren? Nein?