Abbiegeunfälle haben durch den zunehmenden Verkehr eine erschreckende Zahl erreicht. Es gibt technische Lösungen, doch die Politik hat diese bisher nicht zur Pflicht für LKW gemacht.
Die Zahlen sind erschreckend. Allein in Berlin kam es 2016 zu 1544 Unfällen beim Rechtsabbiegen. Die meisten Unfälle gingen auf das Konto von LKW und entstanden an Kreuzungen. Bundesweit starben im letzten Jahr 455 Radfahrer – so viel wie nie zuvor. „Etwa jeder siebte Verkehrsunfall mit Beteiligung von Radfahrern passiert, weil der Pkw- bzw. Lkw-Fahrer beim Rechtsabbiegen den in gleicher Richtung fahrenden Radfahrer übersieht. Allein bei dieser Art von Unfällen verletzten sich 335 Radfahrer, das sind 15,1 % aller verletzten Radfahrer“, heißt es im Verkehrsbericht des Polizeipräsidiums München aus dem Jahr 2016.
Schuld an den Unfällen ist der große tote Winkel, den LKW haben. Der Fahrer kann selbst mit richtig justierten Spiegel nur dann einen Fahrradfahrer erkennen, wenn diese sich direkt unterhalb der Spiegel befindet. Kommt ein Radfahrer von hinten oder steht er auf der Höhe des Aufliegers, fällt es dem Fahrer schwer andere Verkehrsteilnehmer zu erkennen. Ist es dazu noch dunkel, hat er fast keine Chance. Ein weiteres Problem ist der große Lenkkreis des LKW, vor allem, wenn er einen langen Anhänger hat. Dieser zieht beim Abbiegen dann zur Überraschung vieler Radfahrer nach innen und schneidet stark in die Fahrbahn.
Die Probleme sind seit Jahrzehnten bekannt, die Politik reagiert aber kaum. So ist es zum Beispiel erst 1994 Pflicht, dass Anhänger seitlich Schutzgitter haben, die dafür sorgen sollen, dass Passanten und Radfahrer nicht unter den LKW gelangen. Fast 45 Jahre hatte die Politik benötigt, um diese lebensrettende kleine Idee einzuführen.
Mittlerweile schreiben wir 2019 und es gibt diverse technische Möglichkeiten, um derartige Unfälle zu verhindern. Doch die LKW-Hersteller und deren Kunden scheuen die Kosten. Einzig Daimler bietet seit Ende 2016 einen Abbiege-Assistenten serienmäßig an. Allerdings auch nur als Sonderausstattung. Wer die Technik in seinem Fahrzeug haben möchte, muss mindestens 1.500 Euro bezahlen. Eine Summe, die die meisten Spediteure scheuen. Was unverständlich ist, denn ein Unfall verursacht am Ende mehr Kosten, als die einmalige Anschaffung eines Sicherheitssystems.
Erstaunlicherweise schläft auch die Politik. Zwar prüft man für die Lobby der Spediteure seit Jahren die Zulassung noch längerer LKW, mit dem Thema Sicherheit hat man es aber nicht so. Während man bei PKW diverse Sicherheitssysteme vorgeschrieben hat, gibt es dies bei LKW nicht. Als Beispiel mag der Notbrems- und Anti-Auffahrassistend gelten. Der ist zwar vorgeschrieben, lässt sich aber von den Fahrern abstellen. Die fahren auf Autobahnen lieber dichter als erlaubt bei anderen LKW auf, um Sprit zu sparen. Der lästige Warnton des Sicherheitssystems wird einfach abgestellt.
Die Technik um Abbiegeunfälle zu vermeiden ist also da. Und sie ist günstig, vor allem verglichen mit dem Leid, dass unachtsame LKW-Fahrer verursachen. Es liegt an der Politik, diese Systeme zur Pflicht zu machen. Und dies nicht nur für neu verkaufte LKW, sondern auch für ältere Modelle. Denn auf Markt gibt es schon lange Systeme zur Nachrüstung, zum Beispiel vom israelischen Startup Mobileye. Es gibt also keine Entschuldigung mehr. Immerhin gibt es nun eine Initiative des Bundesrates, aber auch hier melden sich die ersten Bedenkenträger, denen Lobbyarbeit wichtiger ist, als das Leben von Fahrradfahrern.
Bild: Daimler AG
4 Antworten zu „Abbiegeunfälle – Radfahrer haben keine Chance weil die Politik sich sperrt“
Beginnen wir zunächst mit dem verbreiteten Gerücht vom toten Winkel. Es gibt ihn nicht:
Quelle 1, ADFC Berlin:
https://adfc-berlin.de/radverkehr/sicherheit/information-und-analyse/121-fahrradunfaelle-in-berlin-unfallstatistik/222-exkurs-der-tote-winkel.html
Quelle 2, Polizei Hamburg:
https://www.youtube.com/watch?v=Jsie5klOyLQ
Setzen wir damit fort, was die eigentliche Ursache dieser Unfälle ist. Nämlich die vollkommen idiotische Idee, Geradeausverkehr rechts von Rechtsabbiegern zu führen und dies zumeist auch noch abgesetzt auf Hochbordradwegen hinter irgendwelchen Hecken, Werbetafeln, Parkreihen, also außerhalb des Sichtfeldes des KFZ-Lenkers.
Kleine Veranschaulichung:
https://radfahrn.files.wordpress.com/2015/08/schmitz02.jpg
Setzen wir fort mit der vollkommen bekloppten Idee, 40-Tonner innerorts, also in sehr dicht besiedelten Lebensräumen, ohne Sondergenehmigung und Beifahrer bewegen zu dürfen. Und das in aller Regel auch noch mit 50km/h.
Schließen wir mit der Feststellung, daß man nur etwas sehen kann, wenn man auch schaut. „Übersehen“ ist fast immer ein Euphemismus, der die Faktenlage verschleiern soll.
Fazit: Technische Lösungen sind ein gern propagiertes Mittel, um die planerischen und infrastrukturellen Defizite und die damit verbundene Rechtslage sowie die damit einhergehende Rechtssetzung und Rechtsprechung als eigentliche Ursachen zu verschleiern.
Wer solche Unfälle vermeiden will, muß an die Ursachen ran.
Zum toten Winkel: Haben Sie schon mal einem LKW gesessen oder sind einen gefahren? Selbst wenn alle Spiegel dran und richtig eingestellt sind, tauchen Radfahrer nur relativ klein auf. Dazu kommt, dass der Fahrer beim Abbiegen nach vorne schaut, nicht permanent in die Seitenspiegel. Ebenfalls haben nicht alle LKW, vor allem jene aus osteuropäischen Ländern, nicht alle Spiegel oder diese korrekt eingestellt. Hinzu kommt, dass man ab Dämmerung und in der Nacht kaum was sieht. Elektronische Systeme sollen den Fahrern nicht die Verantwortung abnehmen, sondern diesen unterstützen, vor allem, wenn er übermüdet, abgelenkt etc. ist.
Ansonsten bin ich völlig Ihrer Meinung. Die Planung und die Aufteilung der Wege muss sich verändern.
Im Prinzip müsste es also mittig oder LINKS einen extra Radstreifen geben, und nicht auf der rechten Seite .. sieht man tw. in New York, aber auch in Karlsruhe. Dummerweise fahren viele Karlsruher genauso radikal Auto, wie sie ihren Drahtesel benutzen … dementspr. dürfte trotz solcher Maßnahmen die Zahl der Unfälle mit Beteiligung von Radfahrern nicht eben klein ausfallen.
cu, w0lf.
Unterschlagen wird in Berichten und Diskussionen zu diesem Thema gerne, dass an vielen Kreuzungen bereits ortsfeste Abbiegeassistenten installiert sind. Man könnte die Sicherheit dort schnell und leicht erhöhen, indem man die Ampelphasen einander kreuzender Fahrzeugströme trennt, so dass geradeaus fahrende Radfahrer nicht gleichzeitig mit Rechtsabbiegern grün bekommen.